19.08.2020

„Nicht grün“ muss man sich leisten können

Am 22. August ist der Earth Overshoot Day – der Weltüberlastungstag: wir verbrauchen 60% mehr Ressourcen als unser Planet erneuern kann. Das ist nochmal ein guter Anlass, um über unsere Anstrengungen zum nachhaltigen Wirtschaften nachzudenken.

„Nicht grün“ muss man sich leisten können
© shutterstock.com | PopTika

Bewusst bin ich zum ersten Mal im Jahr 2009 mit dem Begriff Nachhaltigkeit in Berührung gekommen, als er bei der weltgrößten Messe für Chemie- und Bio-Prozesstechnik ins Zentrum gerückt wurde. Sustainability war fortan ein Leitkonzept für sämtliche Produkt- und Prozess-Entwicklungen, wurde wenige Zeit später in der Politik verankert und für eine „enkelgerechte Zukunft“ zum Hauptmotiv. Obwohl der Begriff seitdem oft überstrapaziert, wird, macht es das Prinzip nicht weniger richtig.

Genau genommen ist der Begriff Nachhaltigkeit nicht etwa erst in den vergangenen Jahren entstanden, sondern bereits seit Anfang des 18. Jahrhunderts bekannt. Er beschreibt laut Duden in der Forstwirtschaft das Prinzip der Nutzung und Kultivierung des Holzanbaus, wonach nicht mehr verbraucht werden darf als nachwachsen und künftig wieder bereitgestellt werden kann.

Nachhaltigkeit – kein neues Prinzip aber so richtig wie eh und je

Es gibt mittlerweile vielfältige Interpretationen und die Anwendung in praktisch allen Lebensbereichen. Im Idealfall sollte sich die Nachhaltigkeit auf ökologische, ökonomische und soziale Aspekte beziehen. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Prinzip. Das Messen und Bewerten wurde standardisiert und in Modellen abgebildet, Ziele und Verbesserungszyklen in Normen festgeschrieben. Heute gehören Nachhaltigkeitsberichte standardmäßig zur Pflicht in der Berichterstattung von Unternehmen und die 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ der UN gelten global seit 2016.

Earth Overshoot Day – wann sind unsere Ressourcen aufgebraucht?

Jedes Jahr wird der Overshoot Day berechnet, der symbolisch aufzeigt, wann wir auf der Erde die natürlichen und wieder herstellbaren Ressourcen aufgebraucht haben. Die Menschheit verbraucht derzeit 60% mehr als das, was unser Planet erneuern kann – oder so viel, als ob wir auf 1,6 Erden leben würden. Bereits seit 1970 leben wir über unsere Verhältnisse, Tendenz steigend. In diesem Jahr, in dem durch die Corona-Pandemie alles anders als gewohnt war, fällt der Tag auf den 22. August und ist damit mehr als drei Wochen später als vergangenes Jahr. Das entspricht einer deutlichen Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks. Natürlich ist ein Lockdown keine Lösung – dennoch zeigt dieses Ergebnis eindrücklich den Einfluss des Menschen und regt zum Nachdenken an.

Klimaschutz wird jetzt auch ökonomisch relevant

Es wurde schon oft diskutiert, dass insbesondere börsennotierte Unternehmen mit einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung besser bewertet werden. Dennoch sah man umgekehrt nicht immer, ob das Nicht-Erreichen von Zielen analog abgestraft wurde. Wirklich messbar war dieser Einfluss bisher nicht.

Erst nach und nach greifen diesbezüglich auch monetäre Aspekte in den Bilanzen. Klimaschutz bekommt einen Preis und eine ökonomische Relevanz für Unternehmen. Der CO2-Emissionshandel soll in der EU neu organisiert werden, um als Leitinstrument für den Klimaschutz wirksam zu werden. Für die Industrie, die Energieerzeugung und den innereuropäischen Flugverkehr gibt es bereits ein etabliertes Regelwerk, für personenbezogene Emissionen wie z. B. im Verkehr ist das jedoch noch nicht realisiert.

Was aber ab diesem Jahr wirksam wird, sind die neuen EU-Flotten-Emissionsziele für Automobilhersteller. Eine Abweichung davon wird mit Strafzahlungen geahndet. Im Durchschnitt sind 95 g CO2 pro km der Maßstab für sämtliche in einem Jahr zugelassenen Neufahrzeuge (PKW) in der EU (nach zuvor 130 g/km). Gemessen wird nach dem neuen WLTP Standard1. Dieses Jahr greifen noch Übergangsregelungen, wonach 5% der „dreckigsten“ Fahrzeuge nicht berücksichtigt werden, ab 2021 gilt der Wert allerdings für alle Fahrzeuge. Im Detail ist die Regelung komplex ausgestaltet. Jeder Hersteller hat ein eigenes Ziel, das sich nach dem Durchschnittsgewicht der Fahrzeuge richtet. Für besonders emissionsarme Fahrzeuge gibt es Bonusregelungen, die Super Credits. Dennoch: die Strafe beträgt 95 Euro pro Gramm Überschreitung multipliziert mit der Gesamtzahl der Autos.

Nur mit Elektroautos sind die Ziele zu erreichen

Mittlerweile wird die Zielerreichung monatlich nachgehalten und für jeden Automobilhersteller berechnet. Insbesondere Volkswagen und Daimler sind noch weit entfernt und müssen mit erheblichen Strafzahlungen rechnen. Da fällt dann besonders auch die Absatzzahl ins Gewicht. Nicht zuletzt erklärt das auch die Elektromobil-Offensive von Volkswagen.

Der Verkauf von Elektroautos ist auf absehbare Zeit die einzige Möglichkeit für die Hersteller, ihre Flottenziele zu erreichen und empfindlich hohe Geldstrafen zu vermeiden. Aber auch aus ethischen Gründen empfinden sie es mittlerweile als moralische Verpflichtung, die Ziele zu erreichen. Der Kunde toleriert Ignoranz auf dem Gebiet nicht mehr. Und da ist doch jeder zuvor hart verdiente Euro am Besten in die Entwicklung von Zukunftstechnologien investiert, denn „Nicht grün muss man sich leisten können“.

Achten Sie auch beim Autokauf oder anderen Konsumentscheidungen auf den ökologischen Footprint von Produkten und das nachhaltige Wirtschaften von Unternehmen? Sollten Nachhaltigkeitsaspekte und Wirtschaftlichkeit gekoppelt werden? Und wie könnte das umgesetzt werden? Können wir es uns in Zukunft noch leisten nicht grün zu sein? Wenn Sie das näher diskutieren wollen, dann schreiben Sie mir unter: energie.schub@claudia-brasse.de oder rufen Sie mich an 02234 97912085.

 

1WLTP: das neue Messverfahren (Worldwide harmonized Light Duty Test Procedure) hat 2017 den bis dahin gültigen NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) abgelöst und soll realitätsnähere Verbrauchs- und Emissionswerte ermitteln. Um die tatsächlichen Emissionen im Straßenverkehr zu messen, wird es begleitend eine Marktüberwachung geben.

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